Zurück zum Joggen mit Beckenbodenproblemen
Inhaltsverzeichnis
- 1 Zurück zum Joggen mit Beckenbodenproblemen
- 2 Die Rückbildung
- 3 Rückbildungsgymnastik
- 4 Was muss ich beim Joggen nach der Geburt beachten?
- 5 Wann darf ich mit dem Lauftraining starten?
- 6 Wie mit dem Laufen starten?
- 7 Und wenn mein Kind schon älter ist?
- 8 Zusammenfassung
- 9 Häufig gestellte Fragen
- 10 Q: Wie beeinflusst das Joggen nach der Geburt meinen Beckenboden?
- 11 Q: Welche Alternativen zum Joggen gibt es nach der Schwangerschaft?
- 12 Q: Wann ist der richtige Zeitpunkt, um nach der Geburt wieder mit dem Joggen zu beginnen?
- 13 Q: Welche Laufschuhe sind am besten für den Wiedereinstieg ins Joggen nach der Geburt?
- 14 Q: Kann Joggen nach der Geburt zu einer Rektusdiastase führen?
- 15 Q: Wie hat sich meine Schwangerschaft auf meinen Körper verändert und was bedeutet das fürs Laufen?
Viele Frauen, mit denen ich zusammenarbeite, wollen die Dinge, die ihnen am meisten Spaß machen, trotz ihrer Beschwerden mit dem Beckenboden wieder machen. Hüpfen, den Kindern hinterher rennen, CrossFit, Joggen, Volleyball….
Doch wo startet man den Weg zurück in seine Lieblingssportart ohne die eigene Gesundheit zu gefährden?
Die Rückbildung
Ich möchte zuerst einmal über die Rückbildung sprechen. Eine Schwangerschaft belastet den Organismus einer Frau in vielerlei Hinsicht. Nicht nur das Herz-Kreislauf-System und der Beckenboden sind belaset – auch die Rücken- und Bauchmuskeln durch den veränderten Körperschwerpunkt verändern sich mit der Zeit. Hormonell bedingt wird das Gewebe weicher. All das ist nicht wieder auf Ausgangsniveau, wenn man 6 Wochen Wochenbett eingehalten und dann 8 Stunden Rückbildungskurs gemacht hat. Es dauert länger. Dein Körper braucht Zeit zur Regeneration.
A propos Wochenbett. Egal, ob du einen Kaiserschnitt oder eine vaginale Geburt hattest – ein Wochenbett musst du einhalten. Ein Großteil meiner Klientinnen, deren Kinder schon aus dem Kleinkindalter raus sind und die Beschwerden haben, erzählte in der Anamnese, dass sie das Wochenbett schlecht oder nicht eingehalten haben. Der Mann war auf Montage, die großen Geschwister mussten mit versorgt oder ein/e Angehörige gepflegt werden. Das ging vielleicht eine zeitlang gut, aber irgendwann kamen Beschwerden. Nach Monaten, nach Jahren…
Deshalb führt dich der Weg zurück zu deiner Sportart im ersten Schritt zu einem ordentlichen Wochenbett.
Das bedeutet viel ruhen, nicht schwer heben, sanfte Beckenbodenübungen und Bauchübungen machen und dich ggf. um deine Kaiserschnittnarbe kümmern. Gib deinem Körper die Zeit, sich zurückzubilden.
Rückbildungsgymnastik
Die meisten Frauen beginnen etwa acht Wochen nach der Geburt den Rückbildungskurs bei ihrer Hebamme. Im Optimalfall geht die Hebamme dann auch gezielt auf den Beckenboden ein, erklärt wie er aufgebaut ist, wie man ihn anspannen und entspannen kann usw.
Wenn du wieder joggen gehen willst, sieh den Rückbildungskurs als Einladung. Als Einladung an dich, neben den begleiteten Kurseinheiten auch noch regelmäßig selbst etwas für dich zu tun.
„Sie können wieder alles machen.“
Kennst du diesen Satz? Er fällt meist im Rahmen der Nachuntersuchung 8-12 Wochen nach der Geburt beim Gynäkologen. Doch ist das wirklich so?
Lass uns das mal von der sportwissenschaftlichen Sicht her aufdröseln. Würde man einen Triathlon, Strongman Wettkampf oder ähnliches absolvieren, ohne vorher gescheit darauf hintrainiert zu haben? Vermutlich nicht, denn das wäre Wahnsinn, das Verletzungsrisiko viel zu groß. Warum also machen Frauen das, wenn es ums Joggen nach der Geburt geht? Rückbildungskurs abgeschlossen, Laufschuhe an und ne halbe Stunde joggen….
Was muss ich beim Joggen nach der Geburt beachten?
Um Beckenbodenprobleme, Überlastung von Gelenken oder Rückenschmerzen zu vermeiden, musst du einen langsamen Belastungsaufbau machen. Du musst deinen Körper, deine Muskulatur, dein Bindegewebe behutsam auf die hohen Belastungen beim Joggen vorbereiten und deinen Beckenboden trainieren.
Beckenbodentraining
Dein Beckenbodentraining beginnt mit der Wahrnehmung – wie oben bereits erwähnt im Optimalfall schon im Wochenbett. Das heißt, du lernst ihn (wieder) kennen und spüren und weißt wie du ihn aktivierst. In diesem Artikel erfährst du mehr über die Anatomie des Beckenbodens.
Dann geht man über in ein Kraft- und Kraftausdauertraining, um den Beckenboden weiter zu stärken. Das geht nicht nur über „Kegelübungen“, also das reine an- und entspannen, sondern auch über indirektes Training. Man macht also Übungen, bei denen der Beckenboden aktiviert wird, ohne dass man ihn bewusst anspannen muss. Warum?
Hast du schon mal versucht, beim Gehen bewusst jeden Muskel, der gerade arbeiten soll, anzuspannen und zu entspannen genau im richtigen Moment? Da läufst du eher wie ein Roboter. Und genau so ist es mit dem Beckenboden. Wir wollen ja da hinkommen, dass er wieder „automatisch“ mitarbeitet, ohne dann wir ihn bewusst anspannen müssen.
Ergänzend kommt das sog. reflexive Beckenbodentraining hinzu. Das ist das Training, was den Beckenboden in seiner Schnellkraft mit dem „automatischen Gegenhalten“ trainiert. Das brauchen wir nicht nur fürs trocken bleiben beim Husten und Niesen, sondern eben auch fürs Joggen. Der Beckenboden soll automatisch auf die Belastung, die auf ihn wirkt, adäquat reagieren können. Dies startest du erst sanft, bspw. damit dass du ihm Stand die Fersen im Wechsel schnell hebst und senkst. Du kannst dann steigern zum zügigen Treppe laufen, kleine Sprünge machen usw.
Training der Hüftmuskeln
Wenn du deine hüftgelenksumgebenden Muskels trainierst, schlägst du mehrere Fliegen mit einer Klappe:
1) du stärkst damit auch deinen Beckenboden! Wissenschaftliche Studien zeigen einen Zusammenhang zwischen der Kraft der Hüftmuskeln und der Kontinenz bei Frauen. Frauen, die kräftigere Hüftmuskeln haben, haben weniger Beschwerden mit Inkontinenz. [1], [2]
2) du hilfst deinem Körper und insbesondere deiner Beinachse, den hohen Belastungen beim Joggen stand zu halten. So kannst du anderen Beschwerden wie Knie- oder Hüftschmerzen vorbeugen
Bauch- und Rückentraining / Rumpf
„Rumpf ist Trumpf“ trifft den Nagel auf den Kopf. Die Körpermitte spielt eine große Rolle, wenn es ums „sichere“ Laufen, insbesondere nach der Schwangerschaft geht. Eine instabile Mitte kann die hohen Kräfte beim Laufen schlechter aushalten, es können leichter Rückenschmerzen und Co. entstehen. Da kommt auch wieder die Rektusdiastase ins Spiel. Schau, dass du diese ebenso mit behandelst, deiner tiefen Bauchmuskulatur Liebe und Aufmerksamkeit schenkst. Das wird i.d.R. nicht nur deine Muskelbäuche wieder annähern, sondern eben auch die Funktion und Stabilität deines Rumpfes wiederherstellen.
Narbenbehandlung
Egal ob es sich um deine Kaiserschnittnarbe oder die Narbe eines Dammrisses handelt – es lohnt sich, diese von einer spezialisierten Narbentherapeutin anschauen und ggf. behandeln zu lassen. Narbengewebe ist anders als das ursprüngliche Gewebe in seiner Beschaffenheit und Elastizität. Eine zu feste/verklebte Narbe kann nicht nur lokal Beschwerden verursachen, sondern über die faszialen Verbindungen an anderen Stellen des Körpers.
Pessartherapie
Insbesondere dann, wenn du früh wieder mit dem laufen beginnen willst oder eine Organsenkung vorliegt, ist es sinnvoll, sich von einem/r Gynäkologen oder einer spezialisierten Beckenboden-Physio beraten zu lassen, ob und welches Pessar sinnvoll ist. So ein Pessar ist der Sport-BH für deine Organe. Es stützt Blase, Gebärmutter und Enddarm.
Wann darf ich mit dem Lauftraining starten?
Das ist wohl die am häufigsten gestellte Frage von Frauen in Rückbildungskursen oder wenn sie ein Personal Training mit mir beginnen wollen. Hier kommt die Antwort:
Aktuell gibt es eine Richtlinie, an der man sich orientieren kann: „Returning to running postnatal – guidelines for medical, health and fitness professionals managing this population“ aus dem Jahr 2019 [3].
„Nach vaginaler Geburt dauert die Regeneration des Beckenbodens mindestens 6 Monate. Und selbst 12 Monate später kann es bei dieser Gebärform noch Unterschiede am Levatortor (Hiatus levatorius) geben. Nach Kaiserschnitt verzögert sich vor allem die abdominale Gewebsfestigkeit. Nach 6 Wochen ist sie erst bei 51–59 Prozent des Originalniveaus und nach 6–7 Monaten bei 73–93 Prozent. Daher empfehlen Expert*innen, in den ersten 3–6 Monaten nur Sport mit geringer Belastung auszuüben und mit dem Joggen frühestens nach dieser Zeit zu beginnen.“ [4]
Screening sinnvoll
In der Guideline [3] wird empfohlen, dass die Mutter mindestens 3 Monate nach der Geburt warten soll – selbstverständlich darf sie in dieser Zeit sog. Low-Impact-Sportarten wie spazieren gehen / walken Wassergymnastik etc. machen.
Anschließend sollte ein Screening durchgeführt werden, das sowohl objektive als auch subjektive Kriterien erfasst und nach dem man beurteilen kann, ob ein Wiedereinstieg ins Laufen zu diesem Zeitpunkt sinnvoll ist oder nicht.
1) Liegen Symptome/Dysfunktionen im Bereich des Beckenbodens oder der Bauchwand vor?
Es wird nach folgenden Symptomen geschaut:
- Urin- und/oder Stuhlinkontinenz
- Urin- und/oder Stuhldrang, der nicht hinausgezögert werden kann
- Schwere-/Druckgefühl in der Beckenregion
- Schmerzen beim Sex
- Verstopfung
- Schmerzen im Bereich des Beckens, der Lendenwirbelsäule und/oder des Bauches
- Rektusdiastase, sowohl im Bezug auf den Abstand der Muskelstränge als auch auf die Kraft und Funktion
Sollte auch nur eines der Symptome vorliegen, egal ob im Alltag oder nachdem du versucht hast zu joggen, ist es NICHT empfohlen, zu joggen.
2) Risikofaktoren für Verletzungen
Neben den o.g. Dysfunktionen beschreibt die Guideline auch allgemeine Risikofaktoren fürs Joggen: Hypermobilität, Stillen, psychologische Probleme wie bspw. eine Wochenbett-Depression, Übergewicht, Kaiserschnitt, relatives Energiedefizit im Sport (RED-S).
Diese Risikofaktoren bedeuten kein generelles Verbot von Joggen dar; sie geben jedoch einen Hinweis darauf, dass man vorsichtig mit dieser und anderen High-Impact-Sportart sein sollte und ggf. eher auf Low-Impact-Sport umsteigen sollte.
3) Muskelfunktionstests
Sind die Risikofaktoren und Kontraindikationen abgeklärt, werden Muskelfunktionstests gemacht. Zunächst einmal bei einer spezialierten Beckenboden-Physio ein Check-Up des Beckenbodens nach dem sog. PERFect-Schema, das die Maximalkraft, die Kraftausdauer und die Schnellkraft des Beckenbodens testet. Zusätzlich sollte der Bauch auf die Rektusdiastase untersucht werden.
Dann geht es darum abzuklären, ob auch die untere Extremität bereit ist fürs Joggen. Es werden verschiedene Dinge getestet:
- 30 Minuten Walken
- Einbeinstand
- einbeinige Kniebeugen
- auf der Stelle joggen
- einbeinige Sprünge auf der Stelle und vorwärts
- „running man“
All diese Tests zielen auf das „impact management“ ab, d.h. es wird geschaut wie Beckenboden und Rumpf auf eher schnelle, große Belastungen reagieren. Wie oben sollten dabei keine Symptome wie Schmerz, Druck-/Schweregefühl oder Inkontinenz auftreten.
Danach gehts noch an die Kraftausdauer der Beine, bei der vier Übungen getestet werden: einbeiniges Wadenheben, einbeinige Schulterbrücke, einbeiniges aufstehen aus dem Sitzen in den Stand und Hüftabduktion im Liegen.
Ab wann darf ich denn nun Laufen nach der Schwangerschaft?
Es wird in der Richtlinie empfohlen, erst dann wieder laufen zu gehen, wenn man Risikofaktoren minimiert hat und all die o.g. Tests durchführen konnte, ohne dass Symptome wie Schmerzen, Inkontinenz oder Schwere-/Druckgefühl im Becken auftreten. Sollten Symptome auftreten, sollte ein gutes Aufbautraining erfolgen, bevor man die Tests erneut macht.
Wie mit dem Laufen starten?
Wie ich oben bereits geschrieben habe, ist es nicht sinnvoll, dann direkt eine 30 Minuten Joggingrunde einzulegen. Kurz gesagt besteht einfach die Gefahr einer Überlastung.
Man sollte mit dem walken beginnen, um ein Warm-Up zu machen. Da sind 10 Minuten ein guter Richtwert. Anschließend wechselt man walken und laufen ab, sodass Intervalle entstehen. Bspw. eine Minute walken und eine Minute joggen, eine Minute walken usw.
Wichtig ist auch, sowohl beim Laufen als auch danach in den Körper rein zu hören. Fühlt es sich gut an? Bin ich symptomfrei? Fühle ich mich wohl dabei? Sendet mein Körper mir Signale, die ich erst nehmen sollte? (Diese Fragen unbedingt ehrlich beantworten!)
Geht alles gut, kann man allmählich, also über Wochen, die Distanz langsam steigern. D.h. man kann dann auf eine Minute walken und zwei Minuten joggen erhöhen. Schließlich werden die Walkingphasen verkürzt und dann ganz weg gelassen. Erst dann, wenn man in der Lage ist, die längere Distanz am Stück zu laufen, dann sollte die Geschwindigkeit/Intensität erhöht werden.
Und wenn mein Kind schon älter ist?
Auch wenn du schon Jahre nach der Geburt bist, und einfach endlich wieder joggen willst ohne Tröpfchen zu verlieren, ist der Ablauf der gleiche. Je nach Ausgangssituation kann es sinnvoll sein, eine zeitlang auf Alternativen zum Joggen umzusteigen. Dann wird das Aufbautraining gemacht, ein Check-Up durchgeführt und geschaut wann du wieder bereit bist, joggen zu gehen.
Zusammenfassung
Es passieren große Veränderungen im Körper während der Schwangerschaft: Bauch und Beckenboden werden strapaziert, die Körperstatik verändert sich, die hormonelle Situation verändert sich und macht das Gewebe weicher. Und egal, ob das Kind per Kaiserschnitt oder vaginaler Geburt geboren wurde, der Körper benötigt die ersten Monate nach der Geburt zur Regeneration. Deshalb ist es so wichtig, eine gute Rückbildung zu machen, nach und nach ein Aufbautraining zu machen und so den Körper allmählich auf das Joggen vorzubereiten.
Brennst Du fürs Laufen? Möchtest Du nach der Geburt wieder joggen können und brauchst Unterstützung? Dann melde Dich gerne bei mir.
Deine Carina
Quellen:
[1]: Foster et al.: Hip and Pelvic Floor Muscle Strength in Women with and without Urgency and Frequency Predominant Lower Urinary Tract Symptoms. J Womens Health Phys Therap. 2021 Jul-Sep;45(3):126-134. doi: 10.1097/jwh.0000000000000209. PMID: 34366727; PMCID: PMC8345818.
[2] Tuttle et al.: (2020). Hip exercises improve intravaginal squeeze pressure in older women. Physiotherapy Theory and Practice, 36(12), 1340–1347. https://doi.org/10.1080/09593985.2019.1571142
[3] Goom, Tom & Donnelly, Grainne & Brockwell, Emma. (2019). Returning to running postnatal – guidelines for medical, health and fitness professionals managing this population. 10.13140/RG.2.2.35256.90880/2.
[4] Reich, Sonja und Kranz, Magdalena: Distanz vor Intensität. physiopraxis 2022; 20(09): 38-42
DOI: 10.1055/a-1891-9065